Ravensburger Spectrum
BRISANTER als gedacht: RAVENSBURGER BAUMBESETZER/INNEN IM LANDTAG BW - Beobachtungsfall für den Verfassungsschutz?
Es gibt Sachen, die können nicht verschwiegen werden. Immerhin handelt es sich um dasselbe Thema wie vom Vortag, von dem das Ravensburger Spectrum berichtet hatte: Aktionen junger Menschen gegen Untätigkeit Ravensburger "Erwachsener" in Sachen Umweltschutz. Konkret ist die Rede von den "Ravensburger Baumbesetzer/innen", deren legitime Protest-Wellen inzwischen auch Stuttgart erreicht haben.
Dort nämlich hatte Anfang des frisch begonnenen Jahres 2021 ein Abgeordneter des Landtages (nicht aus Ravensburg sondern aus Salem) eine "kleine" Anfrage mit zehn (10) Punkten zur "Ravensburger Baumbesetzung" an die baden-württembergische Landesregierung gerichtet, und von Innenminister Thomas Strobl vor wenigen Tagen die (zehn) Antworten darauf erhalten.
Die Frage, was und wer den freien Demokraten Klaus Hoher, Landwirt und Unternehmer aus dem doch weit entfernten Salem-Grasbeuren, zu dieser Anfrage "Baumbesetzung in Ravensburg" im Landtag bewogen hat, kann abschließend von uns nicht beantwortet werden. Interessant nur - und Fragen aufwerfend - ist die Tatsache, dass diese Anfrage nicht von dem Ravensburger Landtagsabgeordneten August Schuler (CDU) selbst kam (oder von Manne Lucha, Grüne, der auch Sozialminister in Stuttgart ist), der ein erklärter Gegner solcher "unerlaubten Aktionen" in Ravensburg ist, und quasi vor dessen "Haustür" praktisch die Baumbesetzung und die Baumräumung stattfanden.
Auch gab es keine Anfrage im Ravensburger Gemeinderat von den beiden FDP-Räten, wahrscheinlich wohl wissend, dass die Ravensburger Bürgermeister eh keine oder - wie sich noch herausstellen wird - die falschen (juristisch falsch) Antworten haben.
Der Impuls nach Salem für diese Aktion, und die dann von Innenminister Thomas Strobl in seiner Antwort verwendeten Informationen dazu, dürften ganz sicher aus dem Ravensburger Rathaus (Ordnungsamt) bzw. Gemeinderat gekommen sein. Sie sind übrigens faktisch ungenau und - wie gesagt - auch unrichtig!
Das Ravensburger Spectrum druckt die Anfrage plus die Antworten nachstehend mit Quellenangabe [Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode - Drucksache 16 / 9637] ungekürzt ab. Fünf Bemerkungen von uns dazu vorweg:
1. Die Formulierung "die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ist bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet" wird von Behörden grundsätzlich immer dann benutzt, wenn ihnen eine Versammlung nicht passend erscheint - unabhängig davon, ob es tatsächlich so ist, was vorkommt. Doch im vorliegenden Fall war das nachweislich nicht so!!
2. Die angegebenen Kosten des Feuerwehr/Polizeieinsatzes dürften erheblich geschönt und auch faktisch unrichtig sein.
3. Die Kosten für diesen Einsatz werden der Ravensburger Stadtverwaltung in Rechnung gestellt, die diese nach der gültigen Rechtsauffassung auch zu begleichen hat. Denn die Räumung des Baumcamps an der Schussenstrasse war nach Überzeugung Vieler und auch im Lichte der Gesetzgebung nicht rechtmäßig.
4. Die Frage Nr. 8 wirft weitere "Fragen" auf. Werden die "Baumbestzer/innen" inzwischen schon verfassungsrechtlich beobachtet? Mit wem - so will der FDP-Mann wissen - sind sie vernetzt? Warum will er das wissen?
5. Auch die Frage des Abgeordneten (9), ob die Baumbesetzer/innen bereits vorher strafrechtlich in Erscheinung getreten seien zeigt, dass die legitimen Protestler/innen implizit vorverurteilt und kriminalisiert werden.
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Landtag von Baden-Württemberg 16. Wahlperiode
Drucksache 16 / 9637
04. 01. 2021
Kleine Anfrage
des Abg. Klaus Hoher FDP/DVP
und Antwort des Ministeriums für Inneres, Digitalisierung und Migration
Ravensburger Baumbesetzer
Kleine Anfrage
Ich frage die Landesregierung:
1. Ist es grundsätzlich jedermann erlaubt, einen Baum in der Öffentlichkeit – gegebenenfalls im Rahmen der Ausübung des Versammlungsrechts – für eine kurze Dauer oder gar mehrere Tage oder Wochen zu besetzen?
2. Gegen welche Vorschriften, darunter auch etwaige Ordnungswidrigkeiten oder Strafvorschriften, verstießen die Baumbesetzer in Ravensburg?
3. Welches Ermessen haben öffentliche Behörden, um wie im konkreten Fall im Rahmen einer medial genannten „Friedenspflicht“ eine längere Baumbesetzung zu vereinbaren?
4. Welche Verwaltungsakte zur Räumung der Baumbesetzung und der Androhung der Vornahme des unmittelbaren Zwangs sind gegenüber den Baumbesetzern ergangen, bitte auch unter Nennung der Frist, bis zu der der erste Baum zu räumen war?
5. Welche Kosten entstanden bislang im Zusammenhang mit der Aktion, insbesondere für die Räumung durch rund 50 Beamte, darunter auch teilweise Mitglieder des SEK?
6. Werden und wurden diese Kosten den Baumbesetzern ganz oder teilweise in Rechnung gestellt?
7. Welche Verstöße gegen die Corona-Verordnung lagen bislang vor (Maskenpflicht, Abstandspflicht, Zusammentreffen von mehr als zwei Haushalten etc.)?
8. Welche Verbindungen der Baumbesetzer zu anderen Organisationen und Gruppen wie Extinction Rebellion oder Fridays for Future sind ihr bekannt?
9. Sind die Baumbesetzer bereits in der Vergangenheit strafrechtlich in Erscheinung getreten?
10. Befürchtet sie Nachahmungstäter, wenn die Baumbesetzung nun nicht hinreichend sanktioniert werden?
04. 01. 2021 - Hoher FDP/DVP
Begründung
Eine mehrtägige Baumbesetzung ‒ wie nun in Ravensburg durch mehrere Personen erfolgt ‒ ist schon per se ein ungewöhnliches Ereignis. In Zeiten der Grundrechtseinschränkungen aufgrund der Covid-19-Pandemie ist dies nach Auffassung des Fragestellers erst recht verwunderlich. Mit der Kleinen Anfrage soll nun der Sachverhalt näher aufgeklärt werden.
Eingegangen: 04. 01. 2021/Ausgegeben: 04.02. 2021
Antwort
Mit Schreiben vom 28. Januar 2021 Nr. 3-0141.5-71/11 beantwortet das Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration die Kleine Anfrage wie folgt:
1. Ist es grundsätzlich jedermann erlaubt, einen Baum in der Öffentlichkeit – gegebenenfalls im Rahmen der Ausübung des Versammlungsrechts – für eine kurze Dauer oder gar mehrere Tage oder Wochen zu besetzen?
Zu 1.:
Die Beantwortung dieser Frage ist nach Maßgabe der Umstände des konkreten Einzelfalls zu beurteilen. Eine „Baumbesetzung“ kann nur dann dem besonderen Schutz der Versammlungsfreiheit unterliegen, wenn sie als Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes zu qualifizieren ist. Eine Versammlung in diesem Sinne erfordert nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung. Die Einordnung als Versammlung hängt folglich maßgeblich von der Ausgestaltung der Baumbesetzung und einem entsprechenden Bezug zum Versammlungsthema ab. Zahlenmäßig sind in diesem Zusammenhang mindestens zwei Teilnehmer erforderlich. Nach derständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts garantiert die nach Artikel 8 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) geschützte Versammlungsfreiheit insbesondere auch das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters hinsichtlich Zeit, Ort und sonstigen Modalitäten einer Versammlung. Auf öffentlich zugänglichen Flächen kann insoweit auch die Durchführung einer Versammlung auf Bäumen zulässig sein, jedoch können derartigen „Baumbesetzungen“ insbesondere zivilrechtliche, baurechtliche, naturschutzrechtliche sowie verkehrsrechtliche Belange entgegenstehen. Die Versammlungsfreiheit enthält insoweit kein Recht zur Übertretung der Rechtsordnung. Soweit Grundrechte Dritter tangiert sind, ist im Wege der praktischen Konkordanz ein angemessener Ausgleich zwischen der Versammlungsfreiheit einerseits und den beeinträchtigten Rechten Dritter herbeizuführen. In Ausgestaltung des Schrankenvorbehalts des Artikel 8 Absatz 2 GG für Versammlungen unter freiem Himmel sind öffentliche Versammlungen unterfreiem Himmel grundsätzlich nach den Maßgaben des § 14 Versammlungsgesetz (VersG) im Vorfeld anzumelden. Überdies kann die zuständige Behörde nach § 15 Absatz 1 VersG eine Versammlung verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Ist eine Baumbesetzung nicht als Versammlung im Sinne des VersG zu qualifizieren, ist deren Zulässigkeit nach Maßgabe der übrigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften zu beurteilen.
2. Gegen welche Vorschriften, darunter auch etwaige Ordnungswidrigkeiten oder Strafvorschriften, verstießen die Baumbesetzer in Ravensburg?
Zu 2.:
Im Raum stehen Verstöße gegen die Anmeldepflicht von Versammlungen (vgl. § 26 Nr. 2 VersG), gegen die Entfernungspflicht nach erfolgter Auflösung einer Versammlung (vgl. § 29 Abs. 1 Nr. 2 VersG) sowie Verstöße gegen das Verbot des Nächtigens in Grünanlagen (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 1, § 23 Abs. 1 Nr. 10 Polizeiverordnung Stadt Ravensburg). Darüber hinaus werden Verstöße gegen die Regelungen zu den Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen der Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2 (Corona-Verordnung – CoronaVO) in ihrer zum damaligen Zeitpunkt geltenden Fassung geprüft (vgl. § 19 CoronaVO i. V. m. §§ 1 b Abs. 1, 9 Abs. 1 und § 1 c CoronaVO). Die entsprechenden Verfahren sind nach den Erkenntnissen der Landesregierung derzeit noch nicht abgeschlossen.
3. Welches Ermessen haben öffentliche Behörden, um wie im konkreten Fall im Rahmen einer medial genannten „Friedenspflicht“ eine längere Baumbesetzung zu vereinbaren?
Zu 3.:
Im Rahmen der Gefahrenabwehr steht den zuständigen Behörden grundsätzlich ein Ermessensspielraum hinsichtlich der zu treffenden Maßnahmen zu. Die Entscheidungen sind jeweils unter Beachtung der Rechtsordnung und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen. Dadurch eröffnet sich insbesondere in sachlicher, persönlicher, zeitlicher und räumlicher Hinsicht ein entsprechender Handlungsspielraum.
4. Welche Verwaltungsakte zur Räumung der Baumbesetzung und der Androhung der Vornahme des unmittelbaren Zwangs sind gegenüber den Baumbesetzern ergangen, bitte auch unter Nennung der Frist, bis zu der der erste Baum zu räumen war?
Zu 4.:
Die Baumbesetzung wurde am 12. Dezember 2020 polizeilich bekannt und noch am selben Nachmittag durch mündliche Anordnung der Versammlungsbehörde als Versammlung aufgelöst. Die Personen auf der Grünfläche unterhalb des Baumes entfernten sich daraufhin, ein Aktivist auf dem Baum weigerte sich jedoch, diesen zu verlassen. In der weiteren Folge richtete sich dieser auf dem Baum weiter ein. Trotz unmissverständlicher Ansagen wurde am 27. Dezember 2020 unmittelbar oberhalb einer Verkehrsampel über eine Zufahrtsstraße zur Innenstadt der Stadt Ravensburg ein Transparent gespannt. Am 29. Dezember 2020 wurde der Aktivist mehrfach aufgefordert, die Aktion – auch aus Gründen der Verkehrssicherheit – zu beenden und den Baum zu verlassen. Zusätzlich erging vonseiten der Stadt Ravensburg eine entsprechende schriftliche Anordnung. Nach der endgültigen Weigerung des Aktivisten, die Aktion zu beenden, ist der Baum noch am selben Tag im Rahmen der Vollzugshilfe durch das Polizeipräsidium Ravensburg geräumt worden.
5. Welche Kosten entstanden bislang im Zusammenhang mit der Aktion, insbesondere für die Räumung durch rund 50 Beamte, darunter auch teilweise Mitglieder des SEK?
Zu 5.:
Für den polizeilichen Einsatz am 29. Dezember 2020 sind folgende Kosten entstanden: Für den Vollzug der von der Stadt Ravensburg verfügten Räumung des Baumes am 29. Dezember 2020 sind im Rahmen der Vollzugshilfe Kosten in Höhe von rund 1.700 Euro entstanden. Hierbei handelt es sich um Kosten für den Einsatz von insgesamt acht Beamtinnen und Beamten für die unmittelbare Sperrung, Räumung und Sicherung des Hubwagens sowie um Mietkosten für den Hubwagen. Der Personalaufwand für den Polizeieinsatz im Zusammenhang mit der damit einhergehenden Spontandemonstration ist mit rund 8.300 Euro zu beziffern (40 Polizeibeamtinnen und -beamte für vier Stunden).
6. Werden und wurden diese Kosten den Baumbesetzern ganz oder teilweise in Rechnung gestellt?
Zu 6.:
Gegenüber dem Polizeivollzugsdienst ist die Stadt Ravensburg nach § 8 LVwVfG im Zusammenhang mit der Räumung Kostenschuldner, da diese die Polizei um Amtshilfe ersucht hat. Inwieweit die Stadt Ravensburg wiederum beim Baumbesetzer Regress nehmen wird, ist der Landesregierung nicht bekannt. Der Personalaufwand im Zusammenhang mit der Spontandemonstration kann gegenüber Dritten nicht geltend gemacht werden. Die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit ist grundsätzlich Kernaufgabe des Staates. In diesem Zusammenhang gilt für Maßnahmen des Polizeivollzugsdienstes in Baden-Württemberg der Grundsatz der Kostenfreiheit.
7. Welche Verstöße gegen die Corona-Verordnung lagen bislang vor (Maskenpflicht, Abstandspflicht, Zusammentreffen von mehr als zwei Haushalten etc.)?
Zu 7.:
Es wird auf die Ausführungen zu Ziffer 2 der Kleinen Anfrage verwiesen.
8. Welche Verbindungen der Baumbesetzer zu anderen Organisationen und Gruppen wie Extinction Rebellion oder Fridays for future sind ihr bekannt?
Zu 8.:
Die Baumbesetzungsaktion wird nach den hier vorliegenden Erkenntnissen von verschiedenen Umweltschutz- und Klimaschutzgruppierungen aus der Region unterstützt. Aufgrund der medialen Wirksamkeit der Baumbesetzung bekundeten auch überregionale Gruppen und Organisationen, die sich im Themengebiet Umwelt- und Klimaschutz engagieren, ihre Solidarität mit den Aktivisten. Am Tag nach der Räumung kam es am 30. Dezember 2020 zu einer angemeldeten Demonstration, die der Fridays for Future-Bewegung zugerechnet werden kann. Eine Aktivistin der Baumbesetzer ist laut Presseberichten Mitinitiatorin der Extinction Rebellion Ortsgruppe Wangen.
9. Sind die Baumbesetzer bereits in der Vergangenheit strafrechtlich in Erscheinung getreten?
Zu 9.:
Aus der Vergangenheit liegen der Landesregierung keine strafrechtlichen Erkenntnisse zu den Baumbesetzern vor.
10. Befürchtet sie Nachahmungstäter, wenn die Baumbesetzung nun nicht hinreichend sanktioniert werden?
Zu 10.:
Die mit der Baumbesetzung verwirklichten Straf- und Ordnungswidrigkeitentatbestände (siehe Ausführungen zu Ziffer 2) werden die entsprechenden von der Rechtsordnung vorgesehenen Sanktionen nach sich ziehen. Die Polizei des Landes Baden-Württemberg wird – ggf. in enger Abstimmung mit den originär zuständigen Behörden – angemessen und konsequent einschreiten, soweit es im Falle entsprechender Nachahmungsaktionen Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere für die geltende Rechtsordnung, abzuwenden gilt.
Strobl
Minister für Inneres, Digitalisierung und Migration
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